-eros ion-

Dr. Axel Schöne zur Ausstellung -eros ion- Malerei auf Tüchern und Papier | 1994

Matisse und seine Freunde glaubten – auf der Suche nach dem großen monumentalen Bild -, nicht vom Licht komme das Heil, wie die Impressionisten meinten, sondern aus der Farbe und ihren Kontrasten, die Bau und Form in sich bereits enthalten. Der Kreis um Kandinsky treibt die Entdinglichung voran, man „verschmäht das Metaphorische“, strebt eine innere Unmittelbarkeit an. Farbsynthese und Seelenvibration werden zum Mittel und Zweck des Ausdrucks erklärt. „Man flieht die Dinge und äußeres optisches Erlebnis und glaubt, dass die innere Schau vom Draußen gänzlich abgespalten werden kann; (aber) man bezahlt den Step ins Ich mit dem Verlust gesehener Welt“, analysierte Carl Einstein. Bei allen Innovationsprozessen bleibt etwas auf der Strecke. Der um 1910 verbreitete Wunsch, psychische Abläufe aufzuzeichnen, führte zur Abstraktion als einer Möglichkeit, sehr intensiv seelisches Geschehen in Bilder umzusetzen. Aber, meint Einstein auch, „es war verhängnisvoll, dass die deutschen Ästhetiker und Künstler einen Gegensatz von abstrakter und darstellender Kunst gebildet hatten, statt zu begreifen, dass die sogenannte ‚abstrakte‘ Kunst nicht weniger konkret, ja vielleicht präziser darstellte, als die sogenannte nachahmende Kunst…“. Freilich, auch diese Auffassung ist nicht unumstritten. Wer das alles als Dilemma empfindet, kann dem vielleicht entgehen, wenn er sich auf Herwarth Walden einlässt: „Die Kunst ist. Das ist die Wirklichkeit der Kunst.“

Ist es ein mutiges Unterfangen, der existierenden Unzahl von Bildern neue hinzuzufügen? Wer malen will, muss sich mit der an sich niederschmetternden Tatsache arrangieren, dass alles Gute schon gemalt wurde. Das zu verkraften und dennoch produktiv zu machen gibt es drei Möglichkeiten, jede auf ihre Art radikal und nur deshalb kunsttauglich: Ignoranz, Arroganz sowie eine unbezähmbare innere Kraft, die zum Gestalten zwingt. Besonders letzteres ist wohl der entscheidende Antrieb für Petra Reschs bildnerische Tätigkeit. Dabei geht es ihr – als Kunstlehrende – nicht lediglich um eine systematische Lösung rein bildnerischer Probleme, die sich aus dem Gebrauch von Farbe und Struktur, Fläche und Linie zwangsläufig ergeben, sondern um eine Verarbeitung persönlicher Empfindungen, Erfahrungen oder Visionen mit bildnerischen Mitteln. Dieser Anspruch wuchs allmählich.
Am Anfang war der Wille.
Streckenweise begleitet von Wort und vom Zweifel wurde daraus eine Überzeugung, eine Überzeugung, in einer ganz bestimmten Art und Weise arbeiten zu müssen.

Petra Reschs Malereien markieren ein solches Stadium: eine gewisse bildnerische und persönliche Sicherheit als Resultat bewusst vorangetriebener Findungsprozesse.
Dies nennt man gemeinhin Beharrlichkeit. Die darin enthaltene Komponente „Konsequenz“ wird dabei oft vom Unterton der Verbissenheit überlagert – nicht ganz zu unrecht, im allgemeinen. Im besonderen – und das ist ein Glückspunkt – trifft es nicht zu: An keiner Stelle mißmutige Verkniffenheit oder pauschalierende Doktrin: die Tücher sind/bleiben lebendig im Ausdruck, von beschwingter Heiterkeit, ja Gelöstheit.

Das bedeutet keinesfalls, dass die Arbeiten den Ausdruck einer einlullenden, platten Idyllik suchen. Im Gegenteil. Das kann wohl auch nicht anders sein. Bei aller Sehnsucht nach Ausgleich und Harmonie lassen die Dissonanzen des näheren Umfelds (Scheinheiligkeit und Ranküne eingeschlossen) auch eine schaffende Persönlichkeit nicht unangefochten. Für mich ist ein Grundzug der hier gezeigten Malereien harmonische Gespanntheit.

Petra Resch wirft Netze aus,
Netze aus transparent duftenden Farbbahnen, auf und in denen sich dunkeltonige Streifen, Schlingen und Bögen, vitale Spuren jedenfalls, verfangen.
Die farbig bewegten Gründe sind sorgsam gestimmt und zumeist von beträchtlicher innerer Spannung: größere Flecken und Flächen werden von kleineren Farbinseln assistiert, diffus schwimmende Klänge werden durch kräftige, reine Töne relativiert. Dabei lassen sich Vorlieben für bestimmte Farben erkennen, für ein kühles Blau, ein Moosgrün, ein tiefes dunkles Rot beispielsweise. Einzelne Formen lösen sich auf und – so seltsam es klingt – bilden eine einzige, das gesamte Tuch bestimmende Farbform. Dies ist wohl das Resultat einer malerischen Diszipliniertheit, die aller Emotionalität und allem spontanen affektiven Antrieb parallel läuft. So entgeht die Malerin der Gefahr, in einem ungezügelten matten Farbbrei zu versinken.
Struktur und vor allem Farbe sind die bestimmenden Komponenten der Arbeiten. Raum wird der Farbe geopfert. Die Imagination des Raumes ist eher meditativer Art. – Das ist übrigens eine interessante Tendenz – zu künstlerischen Auftrittsformen der Verräumlichung (Objekte, Installationen, multimediale Raumgestaltung) drängt, bleiben die Bilder und Blätter eher raumlos flächig. Aus der Skala bildgestaltender Mittel interessieren Petra Resch einige in besonderem Maße:
Überlagerungen, Kontraste und die Kreisform.
Sie lässt Farben in das Gewebe eindringen, überdeckt sie mit neuen Schichten. Manches stößt sich ab. Die Farben haben unterschiedliche suggestive Qualität. In oft mehrstufigen Arbeitsprozessen werden sie ihrer Wärme oder Kühle, ihrem Gewicht und ihrer Konsistenz entsprechend aufgeteilt, aufeinander bezogen – also in Ordnung gebracht. Streifen, gestische Schwünge und informelle Spuren werden mit dem Farbfond in einen kompositorischen Zusammenhang geführt. So ergeben sich variantenreiche Kontraste zwischen Flächen und Struktur, zwischen Dichte und Offenheit, zwischen Statik und Dynamik. Das Interesse an derartiger materieller Mehrschichtigkeit wird schon in Petra Reschs früheren, vielfach übermalten, kleinformatigen Collagen auf Pappe sichtbar. Aber auch die eher grafisch intendierten Spuren und Linienbündel pendeln zwischen streng kontrolliertem Verlauf und psychisch gesteuertem Automatismus. Steile Schrägen, Winkel und Bögen bilden einerseits elementare Formen, gestatten andererseits figürlich-gegenständliche Assoziationen wie Kopf, Frau, Strauch, Wasser, Landschaft.

Der Wechsel zwischen Bildteilen mit verhalten suchenden Pinsel- bzw. Schwammspuren und exzessiv ausbrechenden, dynamischen Gebärden bewahrt – vor allem den Tüchern – eine wohltuende Magie der Formen- und Farbklänge.

Berechnung und Rausch, Kalkül und unbändige Freude sind ebenso wie meditative und eruptive Phasen, nachvollziehbar, erfahrbar auch.

Auf dem Wege zu einer reinen, strengen, abstrakten Malerei ist Petra Resch zu diesen maßvollen unliterarischem, vitalen Bildordnungen gekommen. Eine Zwischenstation zum angestrebten Ideal. Paul Klee beschrieb es so: „Reine Kunst entsteht, wenn der Ausdruck des Formelements und der Ausdruck des formalen Organismus sich mit dem Geist des Inhalts sichtlich deckt. Und bei einem Organismus stehen die Teile in augenfällig gegliedertem Verhältnis zum Ganzen.“

Sowohl die hauchdünnen Seidenpapiere, als auch die sparsamen Schabzeichnungen sowie die großen, im guten Sinn dekorativen Tücher enthalten die Wichtigkeit des Teilchens und des Ganzen, sind umfassender Ausdruck für lustvolles Erschaffen und unweigerliche Abnutzung. Das beziehungsreiche Motto der Ausstellung EROSION ist ein verbaler Reflex auf das bildhaft Vorgetragene. Sympathisch ist: Vor diesen Arbeiten lässt sich verweilen und angeregt miteinander sprechen; Eiferer werden angesichts der rückhaltlosen künstlerischen Ehrlichkeit verstummen.

Text: Dr. Axel Schöne