notiert

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Gedichte | 1998

den grauen, bald neunzigjährigen augen entfunkelte es unerwartet,
ich will euch was sagen, eines tages und es dauert nicht mehr lange,
werden alle elektrischen geräte platzen-
fernseher, computer und so fort, ihr kennt das ja alles,
da heißt es von vorn beginnen, wie die steinmenschen,
ich bin nicht mehr dabei, dem gemache sehe ich nur noch von unten zu,
in aller ruhe

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martin,19, hat propangas gekauft, familie und haus in die luft zu jagen,
eltern geschieden, vater trinkt, mutter trinkt,
neuer vater trinkt, neue mutter trinkt, keiner hat arbeit,
alle und alles unter einem dach,
mit schwersten verbrennungen liegt er im koma,
so oft es geht wird versucht dem jungen ein stück haut zu ersetzten,
die anderen sind daheim, ansonsten hört man nichts

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manchmal formen sich bilder unerwartet, in unausweichlicher konzentration wie hier,
in diesem vieler jahre lehre verbrauchten saal, mit seinen aufgetriebenen wänden,
die wohl nichts mehr an rede verkraften, dem ich jede chance längst abgesprochen hatte.
doch die braunschwarzen ränder erhalten im einfallenden vormittagslicht einen so wärmenden goldenen schimmer
und lichtkegel wandeln die beiden verlassenen stühle da vorn auf dem podest in stille majestätische gestalten,
daß die einfache schönheit ein leuchten erfährt, welche unglaublich ist.
die schattenseite des raumes bestimmt ein notdürftig verpacktes instrument, dessen lederne hülle zerschlissen herabhängt
und keine ahnung von musik gewährt,
doch das wandernde licht umspielt schon den vorderen fuß und offenbart schwarzen lack hell
beinahe bis zum knie. ein gedanke, daß vielleicht in halber stunde alle füße des flügels an leichtigkeit gewännen,
wird durch ruckartiges schließen der überlangen, mit staub bis zum fall gesättigter vorhänge ,
die keiner farbe zugehören, jäh unterbrochen.
vierundfünfzig studenten arbeiten in klausur an fragen der künste, die diese nicht stellen.

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gefährlich ziehen die taschen den körper zur bahn, nicht stürzen jetzt,
den kindern womöglich wieder ärger machen,
oh gott, das nötigste für eine woche in sicherheit bringen.
nur das sah ich in seinen augen.

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soeben wurde einer chauffiert, recht flott im violetten bestattungsfahrzeug
und sehe doch die schwarze offene kutsche mit sarg und trägern in frack und zylinder
als großen denkenden trauerzug, vorfreude auf schmaus und umtrunk nicht ausgeschlossen,
mit allen vom hause des toten zum acker,
langsam und schweigend in tiefer musik, selbst die pferde schienen begriffen, ein fest !
vorfahrt hatte der tote.
nun überlege ich, brausen besagte unternehmen die chaussee hinab, liegt da einer drin oder nicht?
lila ist eine unklare farbe.

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nur in der ferne verhallt ein gebell zum letzten vertraulichen zeichen der stille,
höchste konzentration und freiheit,
weicht diese stunde, wandelt sich auch das schreiben zum tag hin,
brände legen in diesem viel zu kalten haus

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